Etwa 220 Neonazis demonstrierten am Samstag, den 16. November 2013, durch die oberfränkische Stadt Wunsiedel. Darunter auch mit Martin B. (Weißenburg) und Joshua W. (Treuchtlingen) stramme Mitglieder der rechtsradikalen Szene im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen (Anm. d. Red.). Anlass war ein sogenanntes Heldengedenken. In dem verstorbenen Kriegsverbrecher Erich Priebke fand die Szene eine Figur, auf die sich zahlreiche Aspekte des üblichen Heß-Gedenkens übertragen ließen. Ein direkter Bezug auf den „Stellvertreter Hitlers“ war laut Auflagenbescheid ausgeschlossen.
Die Demonstration in Form eines „Heldengedenkens“ im November rund um den Volkstrauertag gehört neben der „Mai-Demo“ und dem Rechtsrockfest „Frankentag“ zu den zentralen Veranstaltungen des neonazistischen Kameradschaftsnetzwerkes „Freies Netz Süd“. Die früher gerne in München angemeldete Veranstaltung findet seit dem Tod des ehemaligen NPD-Bundesvize Jürgen Rieger traditionell im oberfränkischen Wunsiedel statt und auch am Ende betonte man, dass man nächstes Jahr wiederkomme werde.
Dieser Ortswechsel aus der „Hauptstadt der Bewegung“ und der Nähe zu den „Blutzeugen“ des gescheiterten Hitler-Putsches in das eher beschauliche Wunsiedel hat für die rechte Szene einige Vorteile. Die Erinnerung an das frühere Großevent der Szene, den Trauermarsch für den Kriegsverbrecher Rudolf Heß, wird am Leben gehalten. Man zeigt der Stadt zugleich, dass man die Neonazis nicht loswird und „straft“ die Verantwortlichen für die vorzeitige Grabauflösung und den Verlust der zentralen Pilgerstätte, zu dem die Ruhestätte geworden war. Außer der Erinnerung verbindet die Neonazis eigentlich nichts mit der Stadt. Die Wahlergebnisse der zurückliegenden Wahlen waren schlecht für die NPD. Da gäbe es in Oberfranken und Bayern wesentlich „braunere“ Flecken, mit größerem lokalen Rückhalt für die Szene.
Allerdings fällt der Protest der Bevölkerung in Wunsiedel zwar sichtbar, aber immer leiser aus als an etlichen anderen Orten und erst recht München. Das ermöglicht der Szene die Demonstration tatsächlich auch in der Form eines Trauermarsches durchzuführen, dessen Rituale nicht durch Zwischenrufe gestört werden, die darauf aufmerksam machen, wem die Szene hier eigentlich gedenkt. Die Binnenwirkung dürfte enorm sein und eine stabilisierende Wirkung haben.
Der Protest der Bevölkerung ist natürlich vorhanden und durchaus kreativ. Die Stadt zeigt Flagge, die Schule, vor der sich die Neonazis versammeln, hatte ihre Fenster entsprechend dekoriert. Beim Baumarkt erwartete die ankommenden Neonazis ein Banner der Aussteigerorganisation Exit, das die „Kameraden“ daran erinnern sollte, dass es immer eine Alternative zum Menschenhass gibt. Überall am Wegrand wurden Protestschilder angebracht und der Aufzugweg mit Straßenkreide mit Sprüchen wie „Follow your leader – do it like Rieger“ beschrieben. Bei der Zwischenkundgebung mussten sich die Neonazis vor bunten Bannern versammeln, die Kinder und Jugendliche gemalt hatten. An den Veranstaltungen in der Stadt, organisiert von den Kirchen und Gewerkschaften unter dem Motto „Wir gedenken der Opfer, nicht der Täter“ nahmen laut Medienberichten insgesamt 300 Menschen teil.
Zum „Trauermarsch“ kamen etwa 220 Neonazis, Organisator Matthias Fischer sprach gegen Ende von 250, die Polizei von 200 Teilnehmern. Die meisten waren aus Bayern angereist. Die größte Einzelgruppe dürfte wiederum der „Fränkische Heimatschutz“ aus dem Coburger Raum gebildet haben. Auch einzelne NPD-Funktionäre aus Oberfranken wie Dietmar Döring und Johannes Hühnlein waren vor Ort. Hinzu kamen Gruppen aus Baden-Württemberg, versammelt hinter Bannern der JN Heilbronn und der AN Göppingen. Daneben gab es mit einem Spruchband der Aktionsgruppe Weißenfels aus Sachsen-Anhalt noch ein weiteres außerbayerisches Banner.
Laut Fischer waren auch Neonazis aus Ungarn, Tschechien, Frankreich und Südtirol anwesend. Grußworte sprechen durften sie nicht. Die Reden kamen von dem erst kürzlich aus der Haft entlassenen Tony Gentsch, der früheren Vorsitzenden des Rings Nationaler Frauen (RNF), Edda Schmidt aus Baden-Württemberg, und Thomas Wulff, in der Szene „Steiner“ genannt. Wulff zeigte damit einmal mehr, bei welcher rechtsextremen Strömung er sich zuhause fühlt: In der NPD wird gerade der Rausschmiss des Kritikers von Parteichef Apfel diskutiert.
Gentsch gab als erster Redner die zentralen Gedenkobjekte des Tages vor, auf die sich das Gedenken fokussierte: die beiden getöteten Parteiangehörigen der griechischen Neonazi-Partei „Goldene Morgenröte“ und vor allem den passend, weil zeitnah verstorbenen Kriegsverbrecher Erich Priebke. Ansonsten zeigte er kein Verständnis für „Kameraden“, die schon beim kleinsten Anzeichen von Repression der „nationalen Bewegung“ von der Stange gehen würden. Es sei aber besser, wenn sich diese „Elemente“ selbst aus der Szene entfernen würde. Eventuell kündigen sich schon die nächsten prominenten Aussteiger an.
Edda Schmidt durfte dann bei der Zwischenkundgebung das Gedenken an Priebke weiter ausbauen. Beinahe rührselig berichtete sie von Treffen von Neonazis und angebliche Botschaften Priebkes an die Szene, und referierte dessen Lebenslauf, wie die Szene ihn sieht. Mit Priebke hat die Szene an diesem Tag einen „Märtyrer“ gefunden, auf den sich zahlreiche Aspekte des Heß-Gedenkens übertragen ließen, ohne gegen den Auflagenbescheid zu verstoßen, der jede Bezugnahme auf Heß sowie die Parole „wir gedenken dem Stellvertreter“ untersagte.
Zum Einen ist da die Gefängnisstrafe im hohen Alter zu nennen, wobei Priebke ja einen Großteil seines Lebens nach 1945 in Freiheit verbrachte und die Strafe zuletzt als Hausarrest in Rom absaß, der auch nur teilweise durchgesetzt wurde. Das machte Priebke in den Augen der Szene wie schon Heß zum „ältesten“ und „letzten Kriegsgefangenen“. Zum Anderen sei die Verurteilung laut Schmidt zu Unrecht erfolgt, er habe aber seine Tat, die Beteiligung an dem Massaker in den Ardeatinischen Höhlen 1944, nie bereut. Für die Verurteilung seien alleine Kommunisten und Juden verantwortlich, wobei sie diese immer mit „interessierte Kreise“ umschrieb, die man schon an ihrer Kopfbedeckung erkennen könne. Wie schon Heß mit dem Friedensnobelpreis wollte man auch Priebke höhere Weihen zukommen lassen: So bedauerte es Schmidt, dass sie es zusammen mit Thomas Wulff nicht geschafft habe, die Aufstellung Priebkes zur Wahl des Bundespräsidenten durch die NPD zu erreichen.
Ebenfalls Erwähnung als einer der Kameraden, die 2013 „abberufen“ worden seien, fand bei Schmidt der im September gestorbene Rochus Misch. Dessen Einbezug in das „Heldengedenken“ ist nicht durch eine besondere Tat begründet („nur“ Eisernes Kreuz 2.Klasse), sondern durch seine Nähe zum innersten Zirkel des NS-Regimes, zuletzt als Telefonist im „Führerhauptquartier“ in Berlin. Das machte ihn nicht nur bei Neonazis zu einem wichtigen Zeitzeugen über das engere Umfeld Hitlers.
Wulff attackierte in seinen Reden wie üblich die gesetzlichen Regelungen, die eine zu direkte NS-Verherrlichung untersagen und die es der Versammlungsbehörde ermöglicht hatten, einen Bezug zu Heß zu untersagen. Laut der Webseite des Freien Netz Süd wollte man im Vorfeld gegen diese Auflagen gerichtlich vorgehen, sie hatten allerdings Bestand. Wulff versprach hier weitere gerichtliche Schritte. Für diesen „Rechtskampf“ könne man weiter besonders auf den Szeneanwalt Wolfram Nahrath zählen, der die Bemühungen Jürgen Riegers hier fortsetzen würde. Nahrath, einst Anführer der verbotenen „Wiking Jugend“ (WJ) hatte der Demonstration in Wunsiedel dieses Jahr ein Gedicht geschickt, das gegen Ende verlesen wurde.
Als Abschluss erfolgte dann das ritualisierte Rufen einzelner Waffenverbände, denen besonders gedacht werden sollte. Man vermied dabei die direkte Nennung der Waffen-SS, sondern ersetze es durch „die Eliteverbände und die europäischen Freiwilligen“.
Die unattraktive Demoroute führte die Neonazis wie letztes Jahr durch ein verlassen wirkendes Wohngebiet. Die Demonstration entlang der etwa zwei Kilometer langen Wegstrecke dauerte etwa zwei Stunden. Fischer beendete gegen 16.00 Uhr die Veranstaltung.
Quelle: Endstation Rechts Bayern