Die letzten Zeug*innen des Holocaust & Antisemitismus 2.0 – Vortrag & Diskussion mit Birgit Mair

Mittwoch, 9. November 2022, 19.00 Uhr, Eintritt frei
Ort: Gemeindehaus St. Andreas
Doktor-Martin-Luther-Platz 11, Weißenburg in Bayern

Anlässlich des Erinnerns an die Pogromnacht vom 9. November 1938 veranstaltet das Landkreisbündnis gegen Rechts Weißenburg-Gunzenhausen mit Unterstützung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und dem Evang. Bildungswerk Jura-Altmühltal-Hahnenkamm e.V. eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung mit der Sozialwissenschaftlerin Birgit Mair. Musikalisch umrahmt wird die Veranstaltung vom Weißenburger Gospelchor.

Im ersten Teil ihres Vortrags wird Birgit Mair anhand einer bilderreichen Powerpoint-Präsentation einen Einblick in ihre langjährige Arbeit mit Holocaust-Überlebenden vermitteln. Dabei wird sie unter anderem auf das Leben von Charlotte Knobloch eingehen, welche die NS-Zeit im Landkreis Ansbach mit Hilfe anderer unter falschem Namen überlebte. Im Anschluss daran wird sie erläutern, wie sich das Leben nach 1945 im Land der Täter für Angehörige der jüdischen Minderheit gestaltete und welche Folgen institutioneller Rassismus für die hier lebenden Sinti*zze und Roma*nja hatte.

Im zweiten Teil wird sie auf den erstarkenden Antisemitismus infolge der Corona-Pandemie eingehen. Hierbei wird sie den antisemitischen Terror in Halle thematisieren und die Gefährlichkeit der sich verstetigenden Verharmlosung von NS-Verbrechen innerhalb der so genannten Querdenkerszene beleuchten. Im Anschluss daran besteht die Möglichkeit für Fragen aus dem Publikum.

Referentin: Diplom-Sozialwirtin (Univ.) Birgit Mair

Birgit Mair ist Mitbegründerin des Nürnberger Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung e.V. (ISFBB) und Co-Autorin der internationalen Studie zu NS-Zwangsarbeit „Hitlers Sklaven“ („Hitlers Slaves“). Sie verfasste mehrere Publikationen über Holocaust-Überlebende sowie extrem rechte Bewegungen. Sie konzipierte die bundesweit beachtete Ausstellung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“ und führte mehr als vierhundert Zeitzeugengespräche mit Holocaust-Überlebenden durch. Im Moment arbeitet sie an der erweiterten Neuauflage ihres Buches „Die letzten Zeug*innen“. Für ihr Engagement gegen Rechts wurde die 55-Jährige dieses Jahr mit der Karl-Bröger-Medaille ausgezeichnet.

Weitere Informationen:

www.isfbb.de
www.die-letzten-zeugen.de
www.opfer-des-nsu.de

Einlassvorbehalt: Die Veranstalter behalten sich gem.  Art. 10 BayVersG vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die neonazistischen Organisationen angehören oder der extremen rechten Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch antisemitische, rassistische oder nationalistische Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren.

Vortragsveranstaltung: NS-Internierungslager auf der Weißenburger Wülzburg

NS-Internierungslager auf der Weißenburger Wülzburg
Geschichte. Lebensverhältnisse im Lager. Häftlingsbiografien und Zwangsarbeit

Mittwoch, 21. September 2022, im Söller des Gotischen Rathauses Weißenburg. Beginn 19.00 Uhr.

Bis auf eine Gedenkstele für den dort verstorbenen Komponisten Erwin Schulhoff und einen kurzen Absatz einer Informationstafel erinnert auf der Weißenburger Wülzburg kaum etwas an die Geschichte des dort von 1939 – 1945 bestehenden Internierungslagers XIII. Dabei wurden dort Zivilgefangene des Naziregimes aus verschiedenen Ländern unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert und darüber hinaus auch zur Zwangsarbeit herangezogen. 

Das Landkreisbündnis gegen Rechts will die Geschichte des unter der Leitung der Wehrmacht stehenden Internierungslagers nun mit einem Vortrag des Sozialwissenschaftlers Lukas Jocher stärker ins Bewusstsein rufen. Dieser soll unter anderem die Einbettung des Lagers auf der Wülzburg in das nationalsozialistische Unrechtssystem sowie die Verstrickung lokaler Unternehmen in das System der NS-Zwangsarbeit herausarbeiten.

Lukas Jocher ist Sozialwissenschaftler und unter anderem als freier Mitarbeiter in der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in der Region Anhalt tätig. Seine Themenschwerpunkte sind historische und aktuelle Erscheinungsformen der extremen Rechten und Antisemitismusforschung sowie Erinnerungskultur. Ehrenamtlich engagiert er sich in der Gedenkstätte für Zwangsarbeit in Leipzig.

Gedenkfeier am 8. Mai 2022 am „Russischen Friedhof“ in Weißenburg

Liebe Mitfeiernde des heutigen Jahrestages –

77 Jahre „bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht im 2. Weltkrieg“ und damit die Befreiung vom Nationalsozialismus in Europa –

wir haben im Stillen der Menschen gedacht, die ganz in unserer Nähe gelebt haben, gefangen waren,auf der Wülzburg interniert waren und die Befreiung nicht mehr erlebt haben, weil sie kurz vorher an Erschöpfung und Krankheiten gestorben waren oder ermordet wurden.
Das Lager wurde 1939 als Internierungslager für Zivilisten aus Belgien, Frankreich, England, Ägypten, Marokko, Niederlande und Indien eingerichtet, größtenteils zivile Seeleute, die sich bei Kriegsbeginn in Deutschen Häfen befanden. Das Lager wurde innerhalb der Festung errichtet in einem
ehemaligen Schullandheim, die Lagerleitung agierte aus Holzbaracken.
Das Lager wurde Tag und Nacht bewacht, die Häftlinge behielten Zivilkleidung, wurden nicht zur Arbeit gezwungen, aber hatten die Möglichkeit dazu.
2 Jahre später wurden die Internierten in andere Lager verlegt und es kamen ab Juli 1941 nun sowjetische Seeleute, sowjetische Staatsangehörige im Reichsgebiet, sowie französische und vielleicht belgische Juden, ebenfalls belegt sind sowjetische Offiziere. Gemäß den Nachforschungen des freien Sozialwissenschaftlers Lukas Jocher, der an der Universität Leipzig studiert hat und unserem Landkreisbündnis ein Zwischenergebnis präsentiert hat,waren die Einsatzstätten im Wald, in Fabriken, in Steinbrüchen, explizit genannt werden der Steinbruch Solnhofen sowie der Bau einer Fabrik in Gundelsheim.

Außer den osteuropäischen und jüdischen Gefangenen hatten die Insassen die Möglichkeit unter Begleitung in Gruppen spazieren zu gehen – diese Unterschiede ganz entsprechend der Rassenideologie der Nazis.
Ab November 1941 sollten die jüdischen Häftlinge von der Gestapo aus verpflichtet werden, einen Judenstern zu tragen und gesondert von den nichtjüdischen Häftlingen untergebracht zu werden. Außerdem wurden für die Ausübung schwerer Arbeiten sogenannte Judenkommandos geschaffen. Hier gab es einen heftigen Protest innerhalb der gesamten Lager – gemeinschaft, so dass diese Anordnungen tatsächlich zurück genommen wurden.
Es kamen hier 38 Menschen ums Leben, unter anderem auch der Prager Komponist und Pianist Erwin Schulhoff, der aus einer deutsch-jüdischen Familie stammt und beim Einmarsch der Deutschen in die Tschechoslowakei 1939 seine Arbeitsstelle verlor. Auf ein Visum für Moskau wartete er bis Anfang Juni 1941. Bevor er abreisen konnte,hatte Hitler die Sowjetunion überfallen und Schulhoff musste sich mit seinem Sohn Peter in der Polizeizentrale Prag melden. Dort wurde er festgehalten; trotzdem komponierte er weiter, seine Frau brachte ihm das Notenpapier und er konnte das Werk vollenden.Heute lebt sein Werk weiter und viele seiner Kompositionen werden in aller Welt aufgeführt. Es war damals schon zeitgenössische Musik und spricht auch heute noch junge Musikerinnen und Musiker an. Das letzte Prager Datum findet sich in seinen Aufzeichnungen am 08.10.1941. Ausländer im eigenen Land war Schulhoff und wurde deshalb nicht fortgeschleppt nach Theresienstadt, sondern auf die Wülzburg unter seinem russifizierten Vaternamen Gustavowitsch. Dort komponiert er noch weiter und kann in Mai 1942 das Finale seiner VIII. Symphonie vollenden. Die letztenTage seines Lebens erlebt er im Fieber.
Am 18. August 1942 starb Schulhoff an Hals- und Lungentuberkulose, seine Mithäftlinge brachten ihn hierher und begruben ihn auf dem Schindanger.

Nach dem Krieg verschwand der Friedhof hier im Bewusstsein der Weißenburger und Weißenburgerinnen. Die Natur überwucherte die Gräber und erst als es möglich war, dass eine Gruppe ehemals inhaftierter Russen die Gräber besuchen konnte, veranlasste die Stadt Weißenburg 1989, die Anlage zu einem würdigen Mahnmal umzugestalten. Heute befinden sich 3 mit Blumen bepflanzte Gräberreihen und Gäste aus dem Ausland und Einheimische freuen sich über die Ehrung der unschuldigen Gefangenen auf der Wülzburg und die späte Würdigung ihrer Leiden, verursacht von deutschen Nazis.
Tag der Befreiung 8. Mai 1945 – heute vor 77 Jahren
Nicht immer hatte dieser Tag diese Bezeichnung, liebe Mitfeiernde dieses Tages der Kapitulation Hitlerdeutschlands.
Erst die 68er Bewegung führte dazu, dass man nicht mehr von Niederlage , sondern von Befreiung von der Hitler Diktatur sprach und 10 Jahre später hatte diese Auseinandersetzung auch die Regierung erreicht. Noch im Herbst 1984 erklärte Bundeskanzler Kohl, der 8. Mai sei eine der größten Katastrophen Europas gewesen und Katastrophen könne man nicht feiern.Es war der damalige Bundespräsident Richard von Weizäcker, der in seiner Rede zum 8. Mai im Deutschen Bundestag zum 1. Mal vom „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus“ sprach. Außerdem würdigte er den Widerstand gegen die Hitlerdiktatur in seiner ganzen Bandbreite.
Auch heute müssen wir das Versprechen erneuern: „ Nie wieder“
Es war der Schwur derer, die das KZ Buchenwald überlebt hatten, aber wir haben es in den letzten 77 Jahren nicht einhalten können. Antisemitismus, Rassismus und die Anfeindung gesellschaftlicher Gruppen, wie Geflüchteten oder Randgruppen in Obdachlosensiedlungen führen zu Hass und Hetze.
Esther Bejarano, die KZ Überlebende, die im Mädchenorchester in Ausschwitz spielen musste, hat ihr ganzes Leben gegeben, um junge Menschen zu überzeugen, dass Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit unsere einzige Überlebenschance auf dieser Erde ist.