Auch Neonazis aus dem Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen nahmen am Samstag, den 17. November 2012, an einem Aufmarsch des rechtsradikalen „Freien Netz Süd“ (FNS) in Wunsiedel teil.
Die Weißenburger Tobias W. und Danny B. belagerten zuletzt, in den frühen Morgenstunden des 10. November 2012, einen türkischen Schnellimbiss in Weißenburg und wollten eine Drohkulisse gegen einen der Sprecher des Landkreisbündnis gegen Rechts Weißenburg-Gunzenhausen aufbauen. Siehe dazu auch den Artikel „Aufruf zur Demonstration in Weißenburg: “Schulter an Schulter gegen Rassismus – Faşizme karşı omuz omuza”“ vom 14. November 2012.
Wunsiedel: Trauer, marsch! Geschichtsstunde mit Anspielungen
Etwa 230 Neonazis marschierten am Samstag in der oberfränkischen Stadt Wunsiedel auf. Laut den Auflagen war jeder Bezug auf den Kriegsverbrecher Rudolf Heß untersagt. In ihren Reden spielten dennoch einzelne Neonazis mit verschiedenen Assoziationen. Gegen den militaristisch geprägten Trauermarsch demonstrierten etwa 350 Bürgerinnen und Bürger.
Das neonazistische Kameradschaftsnetzwerk „Freies Netz Süd“ (FNS) konnte mit den etwa 230 Teilnehmern mehrheitlich die eigene Basis zur Fahrt nach Wunsiedel bewegen. Entsprechend groß war die Anzahl ihrer führenden Aktivisten. Anwesend waren Normen Kempken als Anmelder, aus Mittelfranken die Aktivisten Matthias Fischer, Kai-Uwe Zimmermann und Rainer Biller. BIA-Stadtrat Sebastian Schmaus und Michael Reinhardt dokumentierten Kundgebung, GegendemonstrantInnen und JournalistInnen. Aus Oberbayern kam Roy Asmuß nach Wunsiedel. Asmuß hat erst kürzlich die Verantwortung für die Seite des FNS übernommen. Aus Ostbayern waren der Wackersdorfer Daniel Weigl und der Chamer Robin Siener (beide auch BISAO) angereist.
Mit etwa 15 Personen nahm der „Fränkische Heimatschutz“ aus Coburg an der Kundgebung teil. Hinzu kamen Neonazis von der „Aktionsgruppe Weißenfels“ (Sachsen-Anhalt) sowie Anhänger der Kameradschaft „Revolutionäre Nationale Jugend Vogtland“ (RNJ) mit eigenem Banner. Ebenso fand sich eine kleinere Gruppe aus Nordrhein-Westfalen sowie tschechische Neonazis ein.
Die Teilnehmer mit NPD-Funktionen waren allesamt als FSN-nah bekannt. Uwe Meenen (Bund Frankenland, stellv. Vorsitzender NPD Berlin) ist selbst führender Aktivist. Auch Heidrich Klenhart, (Postbauer-Heng), seit Sommer Bezirksvorsitzender der NPD in Oberpfalz, hatte keine Berührungsängste. Der Coburger Kreisvorsitzende Dietmar Döring nahm als Aktivist der Kameradschaft „ Fränkischer Heimatschutz“ schon an diversen FNS-Aufmärschen teil.
Überraschender war die Teilnahme von Angehörigen der „Division Franken“, einem kleinen Kameradschaftsnetzwerk aus Franken. Überraschend deshalb, weil, sie zur Zeit den Kern der NPD- Jugend Junge Nationaldemokraten bildet und die Kreise im NPD-Landesverband unterstützt, die mit dem FNS als offen verfeindet gelten. So aber durfte der führende Aktivist der „Division Franken“, Marcel Maderer, an der Spitze des Zuges einen der drei Gedenkkränze tragen. Es bleibt abzuwarten, ob in diesem Symbol eine neue Annäherung oder nur ein eher kurzfristiger Burgfrieden zu sehen ist.
Als Redner traten neben Fischer, Weigl und Meenen noch Ralph Tegethoff (Bad Honnef) und Thomas Wulff (Szenename „Steiner“, Hamburg) auf. Wulff verlas zu Beginn ein Grußwort des Berliner Anwalts Wolfram Nahrath, der nach den Worten Wulffs vom verstorbenen Neonazi Jürgen Rieger die Aufgabe „des Rechtskampfes“ rund um die Heß-Märsche übernommen habe. An Kundgebungsmitteln gab es vor allem schwarze Fahnen mit Ortsangaben und einzelne thematisch passende Banner. Vor dem Zug wurde ein Kreuz aus Birkenholz getragen, auf dem ein Wehrmachtshelm angebracht war. Es folgten drei Gedenkkränze und ein Fahnenblock. Der Frauenanteil war mit geschätzten 15 Prozent relativ gering, auch einige ältere Neonazis marschierten mit.
Die Reden
Das FNS nutzte den Trauermarsch für eine vermeintliche Lehrstunde in Sachen Geschichte. Völkisch-nationalistische Gruppen setzen dabei auf eine Art „Natürlichkeits-Argumentation“: Ihre Sichtweise sei schon immer da gewesen und alles was danach kam an Ideen von Demokratie, Menschenrechten und Liberalismus sei dem quasi „widernatürlich“ übergestülpt worden.
Jede vorteilhafte gesellschaftliche Entwicklung sei dem „Volk“ zu verdanken, als ob es Fortschritt und Kultur nur habe geben können, weil die früheren Menschen allesamt Nationalisten gewesen wären und nach den Nürnberger Rassegesetzen gelebt hätten. Diese Argumentation, die auch schon bei den „Unsterblichen“ zur Legitimation für den Kampf gegen die Demokratie herhalten musste, fand sich besonders in der Rede Weigls wieder. Er machte zudem deutlich, dass er „Volk“ ausschließlich rassistisch verstanden wissen wollte. Er grenzte sich und die restlichen Versammlungsteilnehmer bewusste von der demokratischen Gesellschaft ab, deren Repräsentanten im Falle einer neuen Machtübernahme von Rechts ein grausames Schicksal gewiss sei.
Gerne spannen nationalistische Gruppen auch den Bogen zurück zu den Germanen. Beschworen wurde vielfach eine angebliche militärische Traditionslinie von Arminius über den Deutschen Orden zu den Soldaten der Napoleonische Befreiungskriege, des Ersten Weltkriegs, der völkisch-nationalistischen Freikorps schließlich zur Wehrmacht. Überraschend war hier nur der Einschluss des fränkischen Kaisers Karl der Große. Der auch „Sachsenschlächter“ genannte Karl steht wegen seiner gewaltsamen Politik gegen einzelne „Stämme“ zur Durchsetzung seines Herrschaftsanspruches bei Nationalisten eigentlich nicht hoch im Kurs. Fischer und Tegethoff, die Karl als Begründer des „germanischen Reiches“ feierten, überspielten damit jeden Gedanken daran, dass auch die „Germanen“ wohl mehr Nachbarn im Streit und im Kriege getötet haben als „Volks- und Rassenfeinde“. Bis zur Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols versuchten besonders die Kirchen durch die Idee eines Gottesfriedens den schlimmsten Auswüchsen von Raub, Mord und Totschlag unter den „Germanen“ Herr zu werden.
Der Nationalismus als Ideologie ist ein Kind des 19. Jahrhunderts, die völkischen Rasseideologien sind sogar noch jünger. Der Nationalismus macht die Nation und nicht umgekehrt. Erst die nationalistische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhundert konstruierte die Traditionslinien zu den Germanen. Sie machte es sich zur Aufgabe, den nationalistischen Bestrebungen eine Legitimation zu verschaffen. Zudem sollten die Menschen zu gehorchenden Untertanen erzogen werden, die ihre Bedürfnisse hintan stellen sollten. Nationalismus stellt nichts anderes als ein Herrschaftsinstrument dar, um in Zeiten eines auf Volkssouveränität gegründeten Staates, eine Herrschaft der wenigen über die vielen zu ermöglichen.
Arminius, in Wunsiedel mehrfach angeführter Vorkämpfer und eine Art „Stammvater“, war „den Germanen / den Deutschen“ in der meisten Zeit ihrer Geschichte völlig egal. Ein Gedenken und eine Traditionspflege gab es nicht, so dass sich noch heute die Wissenschaftler über den genauen Ort der Schlacht streiten können.
Martialisch wurde es in den Reden von Meenen (Zwischenkundgebung) und Tegethoff (Abschlusskundgebung). Meenen beschwor ein Sterben und Opfern für das von den anderen konstruierte Deutschtum. Tegethoff führte in einer Art militärischen Zeremoniell dieses Thema fort. Seine Rede wurde mit dem Befehl „Nehmt Haltung an, deutsche Männer und Frauen!“ angekündigt. Im Kasernenhofton glorifizierte er den grausamen Charakter eines jeden Krieges. Man sollte sich ein Beispiel an dem Fähnrich nehmen, dem im Sterben zugerufen worden sein soll, anständig zu sterben. Ebenso ging er länger auf den dekorierten Piloten der Luftwaffe, Hans-Ulrich Rudel ein, der in der Bundesrepublik vor allem dadurch auffiel, dass er Altnazis um sich sammelte und den verbrecherischen Charakter des angezettelten Angriffskrieges bestritt.
Abschließen wurde erneut die militärische Traditionslinie beschworen und symbolisch die Soldaten der kaiserlichen Armee, der Freikorps und der Wehrmacht gerufen, wobei nur die „Waffengattungen“ Heer, Luftwaffe und Marine genannt wurden und nicht etwa die Waffen-SS, die sonst auch gerne vehement verteidigt wird.
Thomas Wulff, der mit dem verstorbenen Neonazi Jürgen Rieger zu den hauptsächlichen Betreibern der Gedenkmärsche für Rudolf Heß gehört hatte, sprach in seinen Reden hauptsächlich über die juristischen Auseinandersetzungen rund um die frühere Großveranstaltung. Ebenso durften Solidaritätsbekundungen für Holocaust-Leugner und Geschichtsfälscher nicht fehlen.
Trotz Verbot in den Auflagen, gelang es den Rednern über die verschiedenen Assoziationen doch an Heß zu erinnern und die Person in das Gedenken einzubauen. Wulff sprach ausführlich über seinen ersten Besuch in Wunsiedel anlässlich der Beerdigung von Heß. Er bediente die in rechtsextremen Kreisen beliebte Verschwörungstheorie, indem er „vom Mordopfer“ oder vom „Mord in Berlin-Spandau“ sprach. Meenen kritisierte, dass in den heutigen Zeiten die Totenruhe nicht mehr heilig wäre. Jedes einzelne Grab wäre früher eine Pilger- oder Wallfahrtsstätte gewesen. Alles Aussagen, die wohl auf die Umstände der Grabauflösung anspielen sollten.
Gegenproteste
Gegen den Aufmarsch gab es eine Reihe von Gegenveranstaltungen in der Stadt Wunsiedel. Begonnen wurde mit einem Gedenkgottesdienst, an dem laut Medienberichten etwa 200 Menschen teilnahmen. Nach Angaben des Veranstalters nahmen dann rund 350 Personen an einem Gedenkmarsch teil, der sich auf den Routen von KZ-Häftlingen bewegte, die ins KZ Flossenbürg getrieben wurden. Ursprünglich wollten die Neonazis auf Teilen dieser Strecke aufmarschieren.
Der Aussteigerhilfe Bayern e.V. (ASH) gelang es, am Aufmarschort der Neonazis ihre Themenbanner „Du findest keine Freiheit in den Fesseln einer Ideologie, die dich und deine Persönlichkeit einschränkt“ anzubringen. Bei der Auftaktkundgebung hielten die Neonazis einen deutlichen Abstand zum Redner, um nicht direkt vor dem Banner abgelichtet zu werden. Die Abschlusskundgebung fand dann doch direkt vor dem Banner statt. Auch die Grundschule gegenüber dem Versammlungsort war entsprechend dekoriert. Auf dem Aufmarschweg befanden sich zudem Aufschriften wie „Nazis raus“ und „Eure Helden waren Mörder“.
Die Polizei hatte die Umgebung der Route weiträumig abgesperrt, so dass ein Protest in Sicht- und Hörweite selten möglich und unattraktiv war.
Die Kundgebung verlief in weiten Teilen ruhig. Ausgesuchte Journalisten wurden vor der Kundgebung und beim Aufmarsch gezielt von Ordnern der Nazis behindert. Der Aufmarsch verzögerte sich durch die verspätete Ankunft eines Busses aus dem Landkreis Pfaffenhofen, der vor allem südbayerische Neonazis nach Wunsiedel brachte. Der Bus war angeblich schon verspätet gestartet und wurde von der Polizei länger aufgehalten. Ein Insasse wurde festgenommen. Er führte nach Polizeiangaben Gegenstände zur Vermummung mit sich, sowie einen mit Sand gefüllten Handschuh. Fischer beendete die Kundgebung kurz vor 17.00 Uhr.
Zuerst erschienen auf ENDSTATION RECHTS. Bayern
- a.i.d.a.-Archiv: ““Heldenehrung“ in Wunsiedel” (27.11.2012)